Glas ist längst nicht mehr nur Glas. Glas ist zum intelligenten Bauteil für unterschiedlichste Anwendungen geworden. Lasertechnologie ermöglicht es, kundenspezifische Anforderungen zu erfüllen. Präzise, schnell und kostengünstig.
Eine smarte Glasscheibe soll abschirmen, durchlassen, verdunkeln, erhellen, am besten alles gleichzeitig und programmierbar zu jeder Tages- und Nachtzeit. Egal ob in einem öffentlichen Gebäude, auf einer Luxusyacht, in einem Auto oder schlichtweg Zuhause vom Sofa aus: Glas soll funktionieren. Damit dies gelingt, ist bei der Herstellung Hochtechnologie erforderlich.
Bahnfahrer werden sich freuen, wenn im ICE Scheiben verbaut sind, die Wärmestrahlen von außen abschirmen und gleichzeitig Mobilfunkwellen durchlassen. Das Gleiche gilt für Bürogebäude, in denen viel Beton und Stahl verbaut ist. Intelligente Glasfassaden sorgen für ein gutes Raumklima, regeln individuell das Licht- und Schattenbedürfnis der Mitarbeiter und ermöglichen Mobilfunkkommunikation ohne Störung. Die Technik dahinter ist für das menschliche Auge nicht sichtbar.
Schicht für Schicht
Glas, das elektromagnetische Strahlung abschirmen soll, ist immer beschichtet, beispielsweise mit einem Low-E Coating, um Wärmestrahlung zu reflektieren. Laserstrahlen ermöglichen es, Teile dieser Beschichtung wieder abzutragen, sodass eine für den Mobilfunk oder das nahe Infrarotlicht durchlässige Filterstruktur oder Fläche entsteht. Das Unternehmen 4JET microtech GmbH hat sich auf die Mikrobearbeitung sehr großer, flacher und gebogener Scheiben spezialisiert. Gebogene Fahrzeugscheiben in Großserie zu produzieren erfordert, diese mit hoher Auflösung von < 100 μm innerhalb kürzester Zykluszeiten zu bearbeiten. Die Volumina können hierbei bis zu 2000 x 1200 x 300 mm3 betragen. Es lassen sich ganze Beschichtungsbereiche auf diesen Scheiben entfernen, auch damit Sensoren durch die Windschutzscheibe eine freie Sicht haben. Die Zykluszeit ist dabei kleiner als 30 Sekunden.
Eine andere Herausforderung an die Laserbearbeitung stellen Smart Windows. Sie enthalten zwei Elektroden, zwischen denen sich Flüssigkristalle oder elektrochrome Materialien befinden können, die über die Elektroden aktiv geschaltet werden. Bei Anlegen einer elektrischen Spannung gehen die Beschichtungen entweder in den undurchsichtigen Zustand über oder verdunkeln. Der Laser kann die Elektroden in Segmente strukturieren, damit sie das Erscheinungsbild homogener erscheinen lassen. Bis zu 10 μm geht die Spurbreite bei der Strukturierung hinunter, wobei die Glassubstrate über 2 x 3 m2 groß sein können. Dabei ist das Bearbeitungssystem darauf ausgelegt, in einer 24/7 Produktionslinie zu laufen.
Der Hai als Vorbild
Modernste Technik von 4Jet kann die Treibstoffkosten von Flugzeugen und Schiffen reduzieren. In die Lackierung eingearbeitete feine Rillen in der Größenordnung eines Haardurchmessers – Riblets –verringern den Luftwiderstand deutlich. Das LEAF-Verfahren (Laser Enhanced Air Flow) erzeugt diese „Haifischhaut“. Man nutzt dafür die Laser- Interferenz-Texturierung, wobei der Laserstrahl zunächst aufgeteilt und anschließend neu zusammengeführt wird. Dadurch lassen sich die Oszillationen der elektromagnetischen Felder beider Teilstrahlen kontrolliert überlagern. Das Ergebnis ist ein periodisches Muster innerhalb eines einzigen Laserspots. Mit diesem Verfahren ist es möglich, 1 m2 Riblet- Oberfläche in weniger als einer Minute zu erstellen.
Mundgerecht produziert
Ganz andere Anforderungen erwarten einen Laser in der Kelchglasproduktion. Hier geht es darum, die Kappe vom Kelch abzutrennen und einen angenehmen Mundrand zu erzeugen. Im klassischen zwei-stufigen Verfahren erhitzte eine kleine Flamme das Glas zunächst lokal, später übernahm ein CO2-Laser diesen Vorgang. Im zweiten Schritt sprengte die Induktion einer thermischen Spannung die Kappe ab. Dies erfolgte früher zum Beispiel mit einem kalten Luftstrom. Anschließend musste die Kappe mechanisch entfernt werden. Das ursprüngliche Verfahren des Schneidens erforderte eine umfangreiche Weiterbearbeitung des Mundrandes durch Schleifen und Flammung. Diese Folgeprozesse erfordern mehr Zeit und lassen weitere Kosten entstehen. Außerdem erzeugen sie zusätzlichen Bruch.
Nicht so bei Lasersystemen, in welchen das SmartCleaveTM Verfahren der Firma Coherent zum Einsatz kommt. Das Unternehmen hatte das Verfahren und die Lasersysteme ursprünglich entwickelt, um ungehärtetes und gehärtetes Flachglas zu bearbeiten. Gemeinsam mit iPROTec adaptierte es diese Methode für die Kelchglasproduktion. Der Kelch hängt oben in einer Vorrichtung, die Kappe fällt am Ende nach unten weg. In einem ersten Prozessschritt erzeugt ein Ultrakurz-Puls Laser (UKP) im Infrarot-Bereich (1030 nm) dünne Filamente im Glas. Ein Puls entspricht einem Filament mit einem Durchmesser von 0,5 bis 1 μm. Je nachdem, um welche Glasart es sich handelt, kann das System bis zu 3 bis 4 mm dickes Glas in einem Durchgang trennen. Die Pulsdauer, -form und nichtlineare optische Effekte im Glas sind dabei entscheidend.
Bis zu 12 mm starkes Glas kann so perforiert werden, allerdings sind für dicke Gläser mehrere Durchgänge erforderlich. Die nachfolgend eingebrachte thermische Spannung lässt das Glas mit einer hohen Genauigkeit entlang der Filamente brechen. Neben dieser hohen Genauigkeit ist die Kantenqualität sehr gut und die Rauigkeit der Oberfläche liegt im Bereich von 0,5 μm. Somit können je nach Anwendungsbereich Nachbearbeitungsschritte entfallen. Das spart Zeit und Kosten und ist besser für die Umwelt. Ist das Glas zu dick und zu groß oder sind die zu schneidenden Konturen zu einfach, kommen die wirtschaftlichen Vorteile des Verfahrens nicht mehr zur Geltung.
Das SmartCleaveTM Verfahren findet nicht nur Anwendung bei der Herstellung von Tableware, sondern auch in der Medizintechnik, in der Produktion von Glaswafern sowie Display- und Covergläsern. SmartCleave Laser Sub-Systeme lassen sich in jedes bestehende System integrieren. Je anspruchsvoller und filigraner die Aufgabe ist, umso besser eignet sich das Verfahren. Selbst geschlossene Konturen lassen sich damit ausschneiden solange das Aspektverhältnis nicht zu groß ist und die Löcher nicht zu klein sind. Für sehr filigrane Löcher kleiner ca. 2 mm bietet Coherent ein anderes Verfahren an: Abtragen und „Fräsen“ mit Ultrakurzpulslasern. Das alles erfolgt kontaktlos, werkzeugfrei und integrierbar.
Wer bist Du und wo kommst Du her?
Track and Trace ist ein weiteres Stichwort. Nanosekunden-Laser im UV-Bereich, UKP-Laser im grünen Bereich oder im roten Bereich eignen sich besonders, um Glas zu strukturieren und zu markieren. Je kürzer der Puls ist, umso weniger wird das Glas geschädigt, da keine Wärme hineingeleitet wird. Die Strukturen entstehen im Mikrometerbereich. Wenn sich Produkte zu 100 % nachverfolgen und identifizieren lassen, wird es schwerer, Plagiate auf den Markt zu bringen. Das erhöht die Sicherheit für den Anwender und die Verbraucher.
Schneller und höhere Kantenqualität mit dem Laserschwert
Verbundsicherheitsglas zu schneiden, ist im Vergleich zum Floatglas immer noch eine zeitaufwendige Aufgabe. Ein Zeit- und Kostentreiber ist die Dauer des Aufheizens der Verbundfolie nach dem Brechen. In der Regel kommt bei geraden Schnitten ein Infrarotheizstrahler zum Einsatz, welcher die Folie erhitzt, damit sie im nächsten Schritt mechanisch getrennt werden kann. Das Aufheizen dauert vergleichsweise lange und ist nicht wirklich präzise, sondern erfolgt in einem breiteren Bereich. So können Delaminationen an der Glaskante entstehen. Die Firma HEGLA GmbH & Co. KG hat bereits beim Formentrennen Erfahrungen mit Lasertechnologie. So entstand zusammen mit dem Laserspezialisten der HEGLA boraident die Idee, den Heizprozess für gerade Schnitte mit einem Diodenlaser zu beschleunigen und gleichzeitig die Kantenqualität zu verbessern. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Das „Laserschwert“ erhitzt mit einzelnen Laserdioden, welche entlang einer Linie positioniert sind, die Folie genau dort, wo es nötig ist. Die thermoplastische Erwärmung konzentriert sich noch exakter auf den Schnittbereich als bislang. Mehrere Parameter steuern individuell die erforderliche Leistungsdichte. Das betrifft den Diodenstrom und -abstand sowie den Oszillationsweg und die Oszillationsgeschwindigkeit. Auf weniger als die Hälfte verkürzt sich damit der Aufheizprozess, bei hohen Stückzahlen spart der Anwender erheblich Zeit und Geld.
Delaminationen entstehen gar nicht erst. Weiterhin verfügen Diodenlaser über eine längere Lebensdauer als Infrarotheizstrahler. Auch Spezialfolien aus festeren Materialien lassen sich mit dieser Lasertechnologie mühelos trennen. Überall, wo Kanten von geschnittenem Verbundglas zu sehen sind und beim Structural Glazing stellt dieses neue „kalte Heizverfahren“ einen Mehrwert am Produkt dar. Besonders im Serienzuschnitt könnte die Diodenlaserheizung die Infrarotröhre als Wärmequelle ablösen und die Mehrinvestitionen allein durch die deutlich höhere Produktivität bei sonst gleicher Anlage schnell refinanzieren. Die neue Heiztechnik wurde zur Vitrum in Mailand erstmals vorgestellt und zu diesem Zweck in eine Musteranlage integriert.
12.10.2019, VDMA Forum Glastechnik
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